Trier stand im Jahr 2018 mit dem Jubiläum „200 Jahre Karl Marx“ weltweit im Fokus der Öffentlichkeit. Die Vielfalt der Meinungen und Perspektiven, die im Jubiläumsjahr artikuliert und diskutiert wurden, machten Trier zu einem Ort des demokratischen Diskurses. Mit den "Trierer Reden", die jährlich am 5. Mai zum Geburtstag von Karl Marx stattfinden, führen renommierte Referentinnen und Referenten aus Kultur und Wissenschaft diesen Diskurs fort – mit ihren Denkanstößen zu aktuellen Themen unserer Zeit.
In diesem Jahr geht der Historiker und Publizist Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk der Frage nach, welchen Stellenwert Demokratie und Freiheit in unserer heutigen Gesellschaft haben – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in der Ukraine. In einem persönlich gefärbten Vortrag verbindet Kowalczuk, der dort selbst familiäre Wurzeln hat, Autobiographisches mit Marx‘ Perspektiven auf das damalige Russland und die demokratische Staatsform.
Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk, geboren 1967 in Ost-Berlin, ist Historiker, Publizist und wissenschaftlicher Berater des DDR-Museums in Berlin. Seit den 1990er Jahren war er an zahlreichen öffentlichen Debatten zur Geschichte der DDR und des Kommunismus beteiligt, wirkte als Mitglied mehrerer Kommissionen des Bundestags und der Bundesregierung, beriet zahlreiche Spielfilme als Historiker und schrieb etwa 30 Bücher. Er zählt zu den führenden Experten für die Geschichte der DDR und des Kommunismus. Sein 2024 veröffentlichtes Buch „Freiheitsschock“ diskutiert die These, dass zahlreiche Menschen mit Freiheit und Demokratie fremdeln. Er ist zudem Verfasser der jüngst erschienenen zweibändigen Biographie über Walter Ulbricht.
„Ilko-Sascha Kowalczuk kommentiert regelmäßig und couragiert das aktuelle Zeitgeschehen. Seine Analysen bereichern immer wieder die politische Debatte. Ich freue mich daher sehr, ihn für die ‚Trierer Rede‘ gewonnen zu haben und bin gespannt auf seinen ganz persönlichen Blick auf Demokratie, Freiheit und die aktuelle Weltlage“, betont Kulturdezernent Markus Nöhl.
Jedes Jahr sind die Triererinnen und Trier eingeladen, Referentinnen und Referenten vorzuschlagen. Eine Fachjury, die neben Kulturdezernent Markus Nöhl aus den Referierenden der Vorjahre besteht, wählte Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk aus allen Vorschlägen aus.
Anmeldung zur Trierer Rede
Montag, 5. Mai 2025, 19 Uhr
Promotionsaula im Priesterseminar
Jesuitenstraße 13, 54290 Trier
Eintritt frei
Platzreservierung erforderlich über das Anmeldeformular oder telefonisch unter 0651 718 1413.
Die Promotionsaula ist leider nicht barrierefrei zugänglich. Für Interessierte mit Gehbehinderung verweisen wir auf den Livestream des OK54 Bürgerrundfunks.
Autorin Ursula Krechel sprach am Geburtstag von Karl Marx zu Migration, Exil und den Folgen für die Gesellschaft.
Im Jahr 2024 sprach die in Trier geborene und vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin Ursula Krechel unter dem Titel „Vom Herzasthma des Exils“ zu Flucht und zu Rückkehr von Geflüchteten in ihre Heimat. Ausgehend von Emigranten aus dem Deutschland des 19. Jahrhunderts sowie den Fluchtbewegungen und Vertreibungen während des NS-Regimes, dachte Ursula Krechel dabei auch über unsere heutige Gesellschaft nach – eine Einwanderungsgesellschaft, die „sich die Augen reibt und noch nicht zu sich selbst gekommen sei – außer zu der Klage, dass es nicht mehr ist, wie es einmal war.“
Ursula Krechel wurde 1947 in Trier geboren; sie war Theaterdramaturgin, lehrte an der Universität der Künste Berlin sowie der Washington University St. Louis und ist Mitglied unter anderem der Akademie der Künste Berlin. Sie lebt in Berlin und wurde für ihr literarisches Schaffen vielfach ausgezeichnet – so unter anderem mit dem Deutschen Buchpreis (2012), dem Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2009) und dem Jean-Paul-Preis für das Lebenswerk (2019). Zu ihren bekanntesten Veröffentlichungen zählen die Romane „Shanghai fern von wo“ (2008), „Landgericht“ (2012) und „Geisterbahn“ (2018), der eine Sinti-Familie aus Trier in den Mittelpunkt rückt und dabei 100 Jahre deutscher Geschichte spiegelt.
Die Trierer Rede wurde vom Amt für Stadtkultur und Denkmalschutz veranstaltet. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Saif Al-Khayyat mit dem Instrument Oud. Sie können die Rede auch in einer Kurzfassung nachlesen.
Die Veranstaltung wurde vom OK54 Bürgerrundfunk live gestreamt und aufgezeichnet. Sie können sie über YouTube anschauen:
Die Trierer Rede 2023 behandelte ein Thema von großer Aktualität: Der Historiker und preisgekrönte Sachbuchautor Gerd Koenen spricht über Marx‘ Blick auf das Russische Zarenreich – und die Frage, inwiefern diese Überlegungen gerade heute „im Widerschein des Krieges“ noch relevant sein können.
Koenen ging darauf ein, wie sich der Kommunismus russisch-sowjetischer Prägung von der Gesellschaftsanalyse des Karl Marx unterschied und immer weiter entfernte. Mit Lenin sei der Marxismus von einer Gesellschaftstheorie zu einer starren Doktrin verkommen, so Koenen. Stalin habe diese „brachiale Vereinfachung" auf die Spitze getrieben und als Vorwand für die mit vielen Opfern verbundene Kollektivierung benutzt. Koenen erinnerte daran, dass Marx sich intensiv mit Russland beschäftigte und das Zarenreich nicht nur als Despotie, sondern aufgrund der ständigen Ausweitung seines Staatsgebiets auch als eine imperialistische Macht beschrieb. Durch den Sieg im Abwehrkampf gegen den deutschen Überfall 1941 sei es Stalin gelungen, die vielen Nationen in der UdSSR eng an die Moskauer Zentrale zu binden. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sei die Russische Föderation ebenso wie die Ukraine nur einer von vielen Nachfolgestaaten gewesen. Der heutige Staatschef Putin hat dieses Ergebnis als „größte geopolitische Katastrophe des 20 Jahrhunderts" bezeichnet und versuche nun im Krieg gegen die Ukraine, es rückgängig zu machen. Diese Strategie habe jeodch keine Aussicht auf Erfolg, konstatierte Koenen.
Gerd Koenen ist Autor zahlreicher ausgezeichneter Sachbücher zur Geschichte des Kommunismus, der deutsch-russischen Beziehungen sowie der alten und neuen Linken. Sein Buch „Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten“ (2007) wurde mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet. 2023 erschien „Im Widerschein des Krieges. Nachdenken über Russland“.
Für die „Trierer Rede“ 2022 konnten erstmals Bürgerinnen und Bürger Vorschläge für die Referentinnen und Referenten einbringen. Eine Fachjury, der neben Kulturdezernent Markus Nöhl auch die Vorjahresreferenten Prof. Marina Münkler und Prof. Lutz Raphael angehörten, wählte Ulrike Herrmann aus allen Einsendungen aus. Vorgeschlagen wurde sie von der Arbeitsgemeinschaft Frieden Trier.
Die Wirtschaftsjournalistin und taz-Redakteurin Ulrike Herrmann sprach zu Karl Marx und dem Ende des Kapitalismus im Angesicht von Klimawandel, Umweltzerstörung und Ressourcenknappheit. Karl Marx habe den Kapitalismus immer als ein historisches Phänomen verstanden – mit einem Anfang und einem Ende. Damit hatte er Recht, folgert Herrmann. Allerdings werde das Ende anders eintreten, als Marx es sich gedacht habe. Der Kapitalismus werde nicht verschwinden, weil eine proletarische Klasse die Macht übernähme, sondern weil der Kapitalismus zwingend Wachstum benötigte, um stabil zu sein. Unendliches Wachstum sei aber nicht möglich in einer endlichen Welt. Der Kapitalismus wird an absolute Grenzen stoßen: Rohstoffe und Natur werden knapp, so Herrmann. Was also ist die Zukunft?
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftsredakteurin bei der tageszeitung (taz), ausgebildete Bankkauffrau und studierte Philosophie und Geschichte an der Freien Universität Berlin. Sie ist regelmäßiger Gast im Radio und im Fernsehen. Von ihr stammen mehrere Bestseller, dazu gehört „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der Ökonomie – oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können“ (Piper 2018).
Seit den 2000er-Jahren hat sich die Kommunikationskultur durch die Digitalisierung und insbesondere die sozialen Medien entscheidend verändert. Kennzeichnend für diese Veränderung ist die Vermischung von privater und öffentlicher, persönlicher und politischer, informationeller und emotional geprägter Kommunikation. Verstärkt wird dies durch die Algorithmen der Internetgiganten, die Kommunikationen in hohem Maße steuern. Sie wird aber auch von dem Bedürfnis nach Gemeinschaftsbildung und Übereinstimmung intensiviert, die zu Echokammern führen. Die scheinbare Unmittelbarkeit der Kommunikation ist tatsächlich extrem vermittelt. Der Vortrag geht der Frage nach, ob und wie diese Prozesse Demokratien gefährden.
Marina Münkler ist Professorin für Ältere und frühneuzeitliche deutsche Literatur und Kultur an der Technischen Universität Dresden, Ko-Sprecherin des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ sowie Stellvertretende Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates.
Moderation: Professor Lutz Raphael
Die Trierer Rede wurde am 5. Mai um 19.30 Uhr über diese Website sowie im OK54 Bürgerrundfunk gestreamt. Im Anschluss fand ein Nachgespräch mit Professorin Marina Münkler über Zoom statt.
Eine Veranstaltung der Stadt Trier in Zusammenarbeit mit dem Karl-Marx-Haus Trier.